Ältes­te Schüt­zen­fah­ne aus dem Jah­re 1815

S_510_15_Die Vereinsfahnen

Schüt­zen­fah­ne aus dem Jah­re 1884

S_514_21_Die Vereinsfahnen

Schüt­zen­fah­ne aus dem Jah­re 1950

S_517_39_ 1950

Schüt­zen­fah­ne aus dem Jah­re 1953

Schützenverein-Olpe-Fahne-1953

 

 

 

Zur Geschich­te und Restau­rie­rung zwei­er Fah­nen des St.-Sebastianus-Schützenvereins zu Olpe

Von Gud­run Hil­de­brandt,
Lei­te­rin der Werk­statt für Tex­til­re­stau­rie­rung in der
Zen­tra­len Restau­rie­rungs­werk­statt, Gelsenkirchen

(Erschie­nen in “Hei­mat­stim­men”)

Ein­lei­tung

Anfang des Jah­res 1997 wur­den auf Initia­ti­ve des Stadt­ar­chivs Olpe die bei­den ältes­ten Schüt­zen­ver­eins­fah­nen aus Olpe — qua­si in einer Not­ret­tungs­ak­ti­on — in die Zen­tra­le Restau­rie­rungs­werk­statt (ZRW) des West­fä­li­schen Muse­ums­am­tes gebracht (1). Als sie in der Fach­werk­statt für Tex­til­re­stau­rie­rung aus ihren schwar­zen Schon­etuis gezo­gen, aus­ein­an­der­ge­rollt und aus­ge­brei­tet wur­den, bot sich allen Betei­lig­ten das erschre­cken­de Bild zwei­er über Jahr­zehn­te hin­weg in Wind und Wet­ter getra­ge­ner Fah­nen­tü­cher im Sta­di­um des fort­ge­schrit­te­nen Ver­falls. Die bei­den ehe­mals stol­zen Sym­bo­le der Ver­eins­tra­di­ti­on waren als Marsch­fah­nen auf­ein­an­der­ge­folgt, dann gemein­sam wei­ter­ge­tra­gen wor­den und erst in jüngs­ter Zeit von neu­en Schüt­zen­fah­nen abge­löst wor­den.
Sowohl von Sei­ten der Stadt Olpe als auch vor allem sei­tens des Schüt­zen­ver­eins bestand der drin­gen­de Wunsch, die Zeug­nis­se der Ver­eins­ge­schich­te nicht wei­ter dem Zer­fall preis­zu­ge­ben, son­dern sie in einer umfang­rei­chen Restau­rie­rungs­maß­nah­me zu bewah­ren und wie­der prä­sen­ta­ti­ons­wür­dig zu machen.
Im vor­lie­gen­den Bei­trag soll kurz über die auf­wen­di­gen, teil­wei­se schwie­ri­gen Restau­rie­rungs­ar­bei­ten an bei­den Fah­nen berich­tet und auch auf inter­es­san­te Details ihrer vor­ma­li­gen Erhal­tungs­ge­schich­te ein­ge­gan­gen wer­den, die erst durch die Unter­su­chun­gen im Rah­men der Restau­rie­rung ent­deckt wurden.

 

Kurz­be­schrei­bung der bei­den Schützenfahnen

Bei­de Fah­nen sind ein­sei­tig bemal­te Sei­den­fah­nen, soge­nann­te ein­blätt­ri­ge Fah­nen, die fest mit dem jewei­li­gen Fah­nen­schaft ver­bun­den sind bzw. waren.
Sie zei­gen jeweils im lin­ken Fah­nen­feld den Hei­li­gen Mar­tin von Tours, der “hoch zu Pferd” das Schwert hebt, um sei­nen Man­tel oder Umhang für den vor Ihm knie­en­den Bett­ler zu tei­len.
Im rech­ten Fah­nen­feld wird jeweils der Hei­li­ge Sebas­ti­an in der übli­chen Dar­stel­lungs­wei­se — an einen Baum gebun­den und von Pfei­len durch­bohrt — wie­der­ge­ge­ben. So sind der Stadt­pa­tron und der Patron des Schüt­zen­ver­eins auf einem Fah­nen­blatt ver­ei­nigt. (2)

Die älte­re der bei­den Schüt­zen­fah­nen ist 1815 zu datie­ren und damit wohl eine der frü­hes­ten erhal­te­nen Schüt­zen­fah­nen über­haupt.
Über den Per­so­nen der bei­den Hei­li­gen schwe­ben jeweils geflü­gel­te Put­ten­köpf­chen, die einen geschwun­ge­nen Schrift­zug quer über die gesam­te Fah­nen­brei­te hal­ten, der — wenn auch frag­men­ta­risch erhal­ten — den­noch les­bar ist: “Gewid­met der Schüt­zen­bru­der­schaft in Olpe 1815”. Den obe­ren und unte­ren Kan­ten­ab­schluss bil­det ein Fries aus sti­li­sier­ten Akan­thus­blät­tern. Mit einem Strei­fen aus rotem Baum­woll­kö­per ist die Fah­ne umlau­fend ein­ge­fasst und auf einer Metall­bor­te an den Schaft gena­gelt. Zur Fah­ne gehört eine höl­zer­ne Schaft­ver­län­ge­rung mit Mes­sing­hül­se. Sie ist mit wein­ro­tem Woll­stoff bezo­gen und steckt in einer schwar­zen Stand­hül­se aus Leder.

Die 2. Fah­ne stammt aus dem Jah­re 1884 und ist In Ihrer Bild­auf­tei­lung kla­rer struk­tu­riert: Der Hei­li­ge Mar­tin begeg­net dem auf­recht ihm ent­ge­gen­ge­hen­den, bit­ten­den Bett­ler in einem Tor­bo­gen. Auf der rech­ten Sei­te bil­det das dich­te Blät­ter­dach des Bau­mes, an dem der Hei­li­ge Sebas­ti­an sei­ne Mär­ty­rer­qua­len erlei­det, den Rah­men. Hin­ter dem Hei­li­gen ist der Blick frei­ge­ge­ben auf die ver­mut­lich ältes­te Dar­stel­lung des Schüt­zen­plat­zes mit Vogel­stan­ge auf dem Imberg. (3) Getrennt wer­den bei­de Sze­nen durch eine lili­en­be­setz­te Mit­tel­säu­le, deren Basis auf der Jah­res­zahl 1884 ruht. Zwei Spruch­bän­der mit unvoll­stän­dig erhal­te­nen gro­ßen, schwarz­kon­tu­rier­ten Gold­buch­sta­ben auf rost­far­be­nem Grund schlie­ßen die Dar­stel­lung ab. Am obe­ren Rand begin­nen sie mit: “Dem St Sebas­tia­nus: Schüt­zen…” und set­zen sich am unte­ren Rand fort mit: “die Frau­en der..”.
All­sei­tig wird das Fah­nen­blatt von einer mit Eichen­laub­ran­ken bestick­ten Rand­bor­dü­re aus Baum­woll­at­las ein­ge­fasst. An drei Sei­ten bil­det eine gekor­del­te Fran­sen­bor­te den äuße­ren Rand­ab­schluss. Zur Fah­ne gehört eine mit rotem Leder bezo­ge­ne Schaft­ver­län­ge­rung, deren Nagel­band aus wei­ßem Leder besteht.

 

Die Fah­ne von 1815

1. Scha­dens­bild — Zustand vor der Restaurierung

Die Fah­ne zeig­te die typi­schen Schä­den eines tex­ti­len Trä­gers, der oft und lan­ge durch alle Wid­rig­kei­ten des Wet­ters hin­durch getra­gen wur­de. Die soge­nann­te “Flat­ter­sei­te oder ‑ecke”, die dem Schaft gegen­über­lie­gen­de, frei­be­weg­li­che Ecke der Fah­ne ist beson­ders star­ker Bewe­gung und enor­mer Zug­be­las­tung aus­ge­setzt. Die Sei­de des Fah­nen­blat­tes ist des­halb hier fast gänz­lich ver­lo­ren, die Dar­stel­lung auf der lin­ken Hälf­te der Fah­ne nur sehr frag­men­ta­risch erhal­ten.
Auf­fal­lend gut ist dage­gen die Figur des Hei­li­gen Sebas­ti­an auf der rech­ten Fah­nen­hälf­te erhal­ten. Bei nähe­rer Unter­su­chung des Gesamt­fah­nen­blat­tes erleb­ten die Restau­ra­to­ren eine Über­ra­schung: Im Ori­gi­nal sind alle Moti­ve für sich auf Sei­de gemalt, anschlie­ßend aus­ge­söhn­ten und mit fei­nen Kapp­näh­ten auf ein durch­ge­hen­des Fah­nen­blatt wie eine Appli­ka­ti­on auf­ge­näht. Der ver­mut­lich ältes­te Teil der Fah­ne, die Figur des Hei­li­gen Mar­tin auf sei­nem Pferd, das Put­ten­köpf­chen links und die roten Blatt­ran­ken dar­über sind auf die­se Wei­se gear­bei­tet.
Die gesam­te Figur des Sebas­ti­an mit den Boden­blatt­or­na­men­ten ist ganz­flä­chig auf­ei­ne neue Sei­de gemalt und als durch­ge­hen­des Tableau im Gan­zen auf das alte, nun­mehr zer­schlis­se­ne Fah­nen­blatt gesetzt. Die Anschlüs­se an die frü­he­re Dar­stel­lung des Sebas­ti­an-Bau­mes sind an der Baum­kro­ne und den Zwei­gen links erkenn­bar.
Die Gesamt­ge­stal­tung der Sebas­ti­an-Figur ist also wesent­lich spä­ter aus­ge­führt, die Male­rei ist groß­flä­chig, fast grob im Ver­gleich zur fei­nen Struk­tur des Ori­gi­nals. Sie trägt Züge des 19. Jahr­hun­derts.
Ver­mut­lich zeit­gleich zur Erneue­rung der Sebas­ti­an-Dar­stel­lung sind die zahl­rei­chen neu unter­leg­ten oder bes­ser ein­ge­füg­ten Tex­til­flä­chen ent­stan­den. Zer­schlis­se­ne Berei­che der Sei­den­fah­ne wur­den auf­ge­ge­ben, aus­ge­schnit­ten und durch den neu­en, gro­ben Baum­woll­kö­per ersetzt, der dann noch viel­fach nach­träg­lich farb­lich an das Ori­gi­nal ange­gli­chen wur­de.
Die­se neu­en Appli­ka­tio­nen sind in der glei­chen Wel­se wie die ursprüng­li­chen ver­ar­bei­tet, eini­ge aber auch nur offen­kan­tig unter die Fehl­stel­le gesetzt (Helm und Knie des Hei­li­gen Mar­tin).
In die­sem “repa­rier­ten” Zustand muss die Fah­ne dann wie­der­um sehr lan­ge getra­gen wor­den sein, bis man sich zu einem letz­ten Ein­griff zur Ret­tung der schwin­den­den Sub­stanz ent­schloss: Die Fah­ne wur­de im gan­zen ein­ge­netzt! (4) Das bedeu­tet: Das Fah­nen­blatt wur­de mit einem grob­ma­schi­gen Baum­woll­netz unter­legt und von der Fah­nen­ober­sei­te aus mit einem fes­ten Baum­woll­zwirn an den Kreu­zungs­punk­ten des Maschen­net­zes durch­sto­chen und so mit die­sem ver­bun­den. Sinn und Vor­teil die­ser Metho­de bestand dar­in, selbst kleins­te Frag­men­te eines Fah­nen­blat­tes in ihrer ursprüng­li­chen Posi­ti­on zu fixie­ren. Der Nach­teil ist offen­sicht­lich: An den Kno­ten­punk­ten durch­stößt das Baum­woll­netz die Sei­de, es ent­ste­hen Löcher, die sich nach wei­te­rem Tra­gen und Schwen­ken der Fah­ne zu Schlit­zen erwei­tern, so dass schließ­lich das gesam­te Fah­nen­feld in Frag­ment­tei­le von Brief­mar­ken­grö­ße zer­fällt
Hin­zu kam, dass ein­ge­drun­ge­ne Feuch­tig­keit die neu­en Appli­ka­ti­ons­stof­fe in sich wel­lig ver­zie­hen ließ und beu­lig auf­warf, das gro­be Netz aber jetzt die­se Defor­ma­tio­nen in Ihrer Posi­ti­on festhält.

 

2. Restau­rie­rungs­maß­nah­men

Für die Restau­rie­rung der Fah­ne (5) stand außer Fra­ge, sie in ihrem letz­ten Erschei­nungs­bild bewah­ren zu wol­len, was bedeu­te­te, alle Ergän­zun­gen in Form der neu­ein­ge­brach­ten Appli­ka­tio­nen und Unter­le­gun­gen zu belas­sen. An dem Objekt soll­ten jeder­zeit die vor­aus­ge­gan­ge­nen Bemü­hun­gen um Erhal­tung der Sub­stanz ables­bar sein.
Als ers­ter kon­ser­va­to­ri­scher Schritt muss­te das Fah­nen­blatt im gan­zen, d.h. mit allen neu­en und ver­wor­fe­nen Appli­ka­tio­nen, geglät­tet wer­den. Die Vor­aus­set­zung dafür war eine Ent­fer­nung des schä­di­gen­den, das Gewe­be zusam­men­zie­hen­den Net­zes. Dazu wur­den die Kno­ten auf der Ober­sei­te der Fah­ne durch­trennt, so dass von der Unter­sei­te her das Netz abfiel. Erst nach der voll­stän­di­gen Netz­ab­nah­me konn­te mit dem Glät­tungs­pro­zess begon­nen wer­den. Die­ses geschah durch das Befeuch­ten mit fein zer­stäub­tem Was­ser­dampf aus einem Ultra­schall­be­feuch­ter. (6)
Schwie­rig­kei­ten wäh­rend des Glät­tungs­pro­zes­ses stell­ten die ver­schie­den­ar­ti­gen Appli­ka­tio­nen dar. Sie nah­men die Feuch­tig­keit unter­schied­lich auf, wur­den wel­lig und lie­ßen sich nur schwer glät­ten. In weni­gen Fäl­len muss­ten sie aus ihren Näh­ten gelöst, für sich behan­delt und nach abge­schlos­se­ner Glät­tung wie­der unter­ge­näht wer­den. Eine Restau­rie­rung — wie sonst üblich in der Tex­til­re­stau­rie­rung — durch Unter­le­gung eines neu­en Trä­ger­stof­fes, der mit dicht­ge­setz­ten Spann­sti­chen am Ori­gi­nal fixiert wird, muss­te auf­grund der extre­men Fra­gi­li­tät des erhal­te­nen Sei­den­ge­we­bes der Fah­ne aus­ge­schlos­sen wer­den.
So blieb nur die ganz­flä­chi­ge Dou­blie­rung (7) auf eine zum Farb­ton des Ori­gi­nals pas­send ein­ge­färb­te Sei­den­ga­ze (Cre­pe­line) als Trä­ger­ma­te­ri­al. Zur opti­schen Schlie­ßung der groß­flä­chi­gen Fehl­stel­len­be­rei­che wur­de ein Sei­den­ta­ft (Pon­gée) im Neu­tral­ton des Fah­nen­hin­ter­grun­des gefärbt, dar­auf das geglät­te­te und dou­blier­te Fah­nen­blatt plat­ziert. Alle drei Schich­ten wur­den mit einem Stütz­li­ni­en­sys­tem aus Vor­stich­rei­hen mit­ein­an­der ver­bun­den.
Die geson­dert behan­del­te rote Baum­woll­bor­dü­re wur­de wie­der an das Fah­nen­blatt gesetzt, Fehl­stel­len waren durch farb­lich pas­sen­de Unter­le­gun­gen geschlos­sen wor­den. Das sta­bi­li­sier­te, restau­rier­te Blatt konn­te nun mit der Bor­dü­re erneut an den Fah­nen­schaft gena­gelt werden.

 

 

Die Fah­ne von 1884

1. Scha­dens­bild — Zustand vor der Restaurierung

Eine Nach­richt des Sau­er­län­di­schen Volks­blat­tes vom 11. Juli 1884 (8) erwähnt die “Schen­kung einer neu­en, aus schwe­rer, wei­ßer Sei­de gear­bei­te­ten Fah­ne an den Schüt­zen­ver­ein. Die Fran­zis­ka­nes­sen aus Salz­kot­ten haben sie mit einer Bor­dü­re aus Eichen­blät­tern ver­se­hen.”
Die­se damals so strah­len­de Neu­erwer­bung — gestif­tet von den Frau­en der Stadt Olpe und fei­er­lich ein­ge­weiht am 12. Juli des Jah­res — ähnel­te im Scha­dens­bild sehr ihrer Vor­gän­ge­rin, als sie in die Restau­rie­rungs­werk­statt zur Scha­dens­auf­nah­me kam. Die gesam­te, dem Schaft gegen­über­lie­gen­de Sei­te — hier die rech­te Fah­nen­sei­te — ist durch das jah­re­lan­ge Tra­gen stark zer­schlis­sen. Die Zer­stö­run­gen im bemal­ten Sei­den­ge­we­be müs­sen irgend­wann so groß und stö­rend gewe­sen sein, dass man sich ent­schloss, die­sen schad­haf­ten Teil des Fah­nen­blat­tes abzu­tren­nen, die Rand­bor­dü­re wei­ter nach innen zu set­zen. Dabei wur­de die ursprüng­li­che Sym­me­trie des Blat­tes mit der Säu­le als Mit­tel­ach­se der Dar­stel­lung auf­ge­ge­ben. Ein Teil der Sebas­ti­an-Figur ver­schwand in der neu auf­ge­stepp­ten Bor­dü­re.
Zu die­sem Zeit­punkt wur­de eben­falls ver­sucht, wie bei der 1. Fah­ne, durch Ein­net­zen der Gesamt­flä­che dem Zer­fall des Sei­den­blat­tes ent­ge­gen­zu­wir­ken. Die Bor­dü­re wur­de in ihrer neu­en Posi­ti­on mit­ein­be­zo­gen, die Kno­ten­sti­che für das Netz durch­ste­chen alle die Rand­zo­nen der Bor­dü­re.
Bei der Über­nah­me in der ZRW war nun die­se ehe­mals neu­ver­setz­te Bor­dü­re bereits wie­der voll­kom­men zer­schlis­sen, dich­te Durch­stop­fun­gen mit gro­bem Garn soll­ten die Eichen­laub-Platt­sti­cke­rei zusam­men­hal­ten, Tei­le des Schrift­ban­des waren bis zur Unle­ser­lich­keit aus­ge­bro­chen. Groß­flä­chi­ge Ver­fär­bun­gen in den gesack­ten Bor­dü­ren zeug­ten vom lan­gen Ste­hen im nas­sen, auf­ge­roll­ten Zustand, die Schaft­um­wick­lung zeig­te lan­ge Schlitze.

 

2. Restau­rie­rungs­maß­nah­men

Zur Ent­span­nung des zusam­men­ge­zo­ge­nen Gewe­bes wur­de, genau wie bei der 1. Fah­ne, das beid­sei­ti­ge Netz ent­fernt. Um wei­te­re Restau­rie­rungs­maß­nah­men (9) vor­zu­be­rei­ten, muss­ten sowohl des Fah­nen­blatt als auch die Bor­dü­re geglät­tet wer­den. Die beid­sei­tig stark zer­schlis­se­ne rech­te Bor­dü­ren­sei­te wur­de durch Auf­tren­nen der Maschi­nen­näh­te aus dem Bor­dü­ren­rah­men gelöst und zur Restau­rie­rung aus­ein­an­der­ge­klappt
Sie ent­hielt über­ra­schend die ver­miss­ten, weg­ge­schnit­te­nen Frag­men­te der Sebas­ti­an-Dar­stel­lung: Tei­le von Schul­ter und Fuß sowie zahl­rei­che Bäu­me aus der Hin­ter­grund­sze­ne­rie um den Imberg. Da alle die­se wie­der­ge­fun­de­nen Frag­men­te kei­nen direk­ten Anschluss mehr an die Sebas­tian­fi­gur boten, wur­den sie — nach foto­gra­fi­scher Doku­men­ta­ti­on — in die restau­rier­te Bor­dü­re zurück­ge­ge­ben und wie­der mit ein­ge­näht. Vor­der- und Unter­sei­te der Bor­dü­re wur­den getrennt mit ein­ge­färb­tem Sei­den­pon­gée unter­legt, mit Spann­sti­chen fest­ge­legt, neu zusam­men­ge­klappt und gegen­ge­näht.
Das geglät­te­te Mit­tel­feld der Sei­den­fah­ne wur­de wie bei Fah­ne 1 auf Cre­pe­line dou­bliert und mit einem durch­ge­hen­den, neu­tral beige ein­ge­färb­ten Trä­ger­stoff (Sei­den­pon­gée) mit Stütz­li­ni­en­sys­tem ver­bun­den.
Die offe­nen, rech­ten Sei­ten­kan­ten der Fah­ne wur­den in die restau­rier­te Bor­dü­re gescho­ben und in vor­he­ri­ger Posi­ti­on mit der Hand festgenäht.

Zusam­men­fas­sung

Die Fah­ne des St.-Sebastianus-Schützenvereins von 1815 erscheint in ihrer Mate­ri­al­be­schaf­fen­heit und in der Art ihrer Mon­tie­rung als ein sehr emp­find­li­cher, wenig stra­pa­zier­fä­hi­ger Gegen­stand und ist doch offen­sicht­lich nahe­zu 70 Jah­re unver­dros­sen beim jähr­li­chen Schüt­zen­fest getra­gen wor­den. Zahl­rei­che “Aus­bes­se­run­gen” haben dem kost­ba­ren Stück zuneh­mend die Les­bar­keit der Dar­stel­lung genom­men, bis man 1884 selbst befand, dass “die alte, aus dem Jah­re 1815 stam­men­de und dar­um lei­der sehr defekt gewor­de­ne Fah­ne” durch eine “neue, sehr schön aus­ge­fal­le­ne” zu erset­zen sei (Sau­er­län­di­sches Volks­blatt).
Als auch die­se Neu­an­fer­ti­gung begann, Emp­find­lich­kei­ten gegen­über Wit­te­rungs­ein­flüs­sen und dem stra­pa­ziö­sen Dasein als Ver­eins­fah­ne zu zei­gen, fing man die­se Schwä­chen mit größ­ter Sorg­falt auf, ver­such­te mit allen Mit­teln der Tex­til­kunst den fort­schrei­ten­den Zer­fall zum Still­stand zu brin­gen. Lie­be­vol­le Ergän­zun­gen, male­ri­sches Anglei­chen von Neu­un­ter­le­gun­gen, groß­zü­gi­ges Weg­schnei­den mor­bi­der Sei­den­par­tien ver­än­der­ten zuneh­mend das Aus­se­hen der Stü­cke, zu eng ange­setz­te Rand­ein­fas­sung (Fah­ne 1), zu straff auf­ge­stepp­te Bor­dü­re (Fah­ne 2) zogen dabei das ver­blie­be­ne Gewe­be nur noch mehr ein. Die­se Repa­ra­tu­ren waren — wohl ver­stan­den — alle­samt gut gemeint, füg­ten jedoch bei­den Objek­ten im Lau­fe der Zeit mehr Scha­den zu, als dass sie wirk­lich hal­fen. Den Höhe- und Schluss­punkt setz­te schließ­lich die kom­plet­te Ein­net­zung. Mit dem regel­mä­ßi­gen Durch­ste­chen der sei­de­nen Fah­nen­blät­ter hat­te die Zeit nun über­deut­lich ihre Spu­ren hin­ter­las­sen.
Die Auf­ga­be der Restau­rie­rung bei­der Fah­nen in der Tex­til­werk­statt der ZRW muss­te es somit sein, an den Objek­ten die Geschich­te der schritt­wei­sen Bemü­hun­gen um ihre Erhal­tung und damit alle Spu­ren die­ser Geschich­te ables­bar zu bewah­ren, denn nur sie sind nach­voll­zieh­ba­re Doku­men­te einer his­to­ri­schen Ent­wick­lung.
Die Kon­ser­vie­rung des letzt­hin über­kom­me­nen Erhal­tungs­zu­stan­des soll­te mit dem Wie­der­erlan­gen einer beding­ten Fle­xi­bi­li­tät in der Bewe­gung gekop­pelt wer­den, ohne dass die rück­ge­won­ne­ne Sta­bi­li­tät zu einem erneu­ten Benut­zen der Objek­te ein­lädt.
Die Restau­rie­run­gen bei­der Fah­nen­tü­cher ist seit Anfang 1999 abge­schlos­sen. Die auf­wen­di­gen Restau­rie­rungs­maß­nah­men erfor­dern nun eine aus­ge­wähl­te, kon­ser­va­to­risch unbe­denk­li­che Prä­sen­ta­ti­on die­ser gro­ßen Objek­te (10), flach­lie­gend oder in leich­tem Win­kel auf einer groß­for­ma­ti­gen Holz­plat­te, die mit einem rutsch­fes­ten Stoff bezo­gen sein soll­te, damit die stra­pa­zier­ten Gewe­be nicht neu­en Zug­be­las­tun­gen aus­ge­setzt wer­den. Eine staub­si­che­re Vitri­ne soll­te sie zudem bei kon­stan­ten Kli­ma­be­din­gun­gen vor zu hohen Beleuch­tungs­wer­ten schüt­zen. (11) Nur in einer ange­mes­se­nen Prä­sen­ta­ti­ons­form fin­det die Restau­rie­rung der bei­den Schüt­zen­fah­nen aus Olpe ihren erwünsch­ten Abschluss.
Bei­de Fah­nen war­ten im Maga­zin der ZRW auf ihre Über­füh­rung an ihren end­gül­ti­gen Stand­ort. Die­ser soll­te sinn­vol­ler­wei­se in dem geplan­ten Olper Stadt­mu­se­um sein, um hier der gesam­ten Bevöl­ke­rung die Mög­lich­keit zu geben, sich vom wie­der­erlang­ten Leben der bei­den Fah­nen zu über­zeu­gen. Da Pla­nung und Errich­tung des neu­en stadt­ge­schicht­li­chen Muse­ums jedoch sicher­lich noch eini­ge Jah­re in Anspruch neh­men wer­den, hat der Schüt­zen­ver­eins­vor­stand am 29. März 2000 auf einem Orts­ter­min in Gegen­wart des Chef­re­stau­ra­tors der ZRW, Herrn Ties Kars­tens, und des Olper Bür­ger­meis­ters, Herrn Horst Mül­ler, beschlos­sen, die Fah­nen für die­se Über­gangs­zeit im Spei­se­saal des Schüt­zen­ho­fes in neu zu beschaf­fen­den, allen kon­ser­va­to­ri­schen Anfor­de­run­gen genü­gen­den Vitri­nen zu präsentieren.

 

 

 

1) Die ZRW ist als Außen­stel­le des West­fäl­schen Muse­ums­am­tes in dem west­fä­li­schen Was­ser­schloss Haus Lüt­ting­hof am Stadt­rand von Gel­sen­kir­chen unter­ge­bracht. Der 1991 neu­errich­te­te Werk­statt­bau umfasst sie­ben Fach­werk­stät­ten für Restau­rie­run­gen aller Spar­ten, die von einer Natur­wis­sen­schaft­li­chen Abtei­lung sowie einer Foto­ab­tei­lung in ihrer Arbeit unter­stützt wer­den. ;
2) Bei bei­den Fah­nen ist die Dar­stel­lung lavie­rend in Art der Aqua­rell­tech­nik direkt auf den Sei­den­trä­ger, d.h. ohne Grun­die­rung und Vor­zeich­nung, auf­ge­tra­gen.;
3) Die Vogel­stan­ge wur­de um 1775 vom Stöt­chen zum Imberg ver­legt, 1828 wur­de das heu­ti­ge Schüt­zen­ge­län­de daselbst ange­kauft (vgl.: Schö­ne, Man­fred: Alt-Olpe. Sied­lung und Ver­kehr im 19. Jahr­hun­dert. Eine Stu­die zur his­to­ri­schen Stadt­to­po­gra­phie. Olpe 1968. (=2. Bei­trag zur Geschich­te der Stadt Olpe). S. 17).;
4) Das Ein­net­zen ist eine sehr häu­fig ange­wen­de­te Metho­de der Fah­nen­re­stau­rie­rung im 19. Jahr­hun­dert, die dem Objekt aller­dings auch noch nach der Abnah­me des beid­sei­ti­gen Net­zes die Käst­chen­struk­tur der Maschen unaus­lösch­lich auf­brennt. Vgl: Worch, Maria The­re­sia und Eli­sa­beth Jägers: Zur Restau­rie­rung zer­stör­ter Tex­ti­li­en. Auf­ge­zeigt am Bei­spiel der Fah­ne des Jean Pierre Blan­chard von 1785. In: Restau­ro 3 (1988), Mer­ta, Klaus-Peter: Vom Umgang mit his­to­ri­schen Objek­ten im Ber­li­ner Zeug­haus. Die Pol­ler­etz­ki-Stan­dar­ten. In: Gesell­schaft für Hee­res­kun­de (1997). S. 5–9.;
5) Zur Restau­rie­rung der Fah­ne liegt unter AP 450 eine umfang­rei­che Text­do­ku­men­ta­ti­on mit Foto­teil und ergän­zen­den Zeich­nun­gen in der ZRW vor. Alle Maß­nah­men wur­den von Gud­run Hil­de­brandt (Werk­statt­lei­te­rin) und Ber­cin Tasan (Prak­ti­kan­tin) durch­ge­führt.;
6) Das Tex­til nimmt schritt­wei­se Feuch­tig­keit auf, lässt sich ent­span­nen, faden­ge­ra­de aus­rich­ten und wird durch kurz­zei­ti­ges Auf­le­gen von Glas­plat­ten geglät­tet. Wegen der Fah­nen­grö­ße muss­te lie­gend auf einem Gerüst gear­bei­tet wer­den (Frau Tasan).;
7) Sei­den­c­re­pe­line wur­de mit Las­caux-Acryl­harz­di­sper­si­on HV 360 : HV 498 : H20 = (1 : 2) : 8 beschich­tet und mit Heiz­spach­tel fixiert. Aus­führ­li­che Beschrei­bung in der Restau­rie­rungs­do­ku­men­ta­ti­on (ZRW).;
8) Dan­kens­wer­ter Hin­weis von Herrn Josef Wer­mert, Stadt­ar­chiv in Olpe.;
9) Zum detail­lier­ten Ablauf der Restau­rie­rungs­maß­nah­men sie­he Doku­men­ta­ti­ons­be­richt unter AP 456 in der ZRW.;
10) Maße der Fah­nen (Län­ge x Brei­te — ohne Schaft): Fah­ne von 1815: 222,0 x 166,0 cm; Fah­ne von 1884: 188,0 x 164,0 cm.;
11) Ide­al­wer­te für die Aufbewahrung/Präsentation von Tex­ti­li­en sind 55 — 60% rela­ti­ve Luft­feuch­te bei 18- 20°C und 50 Lux maxi­ma­ler Beleuchtungsstärke;